Medieninformation • 15.02.2012 • Neubrandenburg

Jeden Tag Radio für Kinder

10 Jahre Torwächtergeschichten bei NB-Radiotreff 88,0 - Ein Geburtstagstraum

"Aufstehen! Aufstehen!", rief die Mutter.
Es war aber doch so früh und draußen war es noch so dunkel. Noch ein paar Minuten wollte er im warmen Bett bleiben und seinen Traum zu Ende träumen. Und schon war Abdul wieder im Traumland.
Es war wie so oft am Morgen.
Noch den Schlafsand in den Augen ging Abdul den Flur entlang zum Waschraum. Hier war schon Betrieb: zwei Jungen aus der Nachbarwohnung waren schon dabei, sich zu waschen. Sie grinsten um die Wette und mühten sich ab, den Gute-Morgen-Gruß auf deutsch zu sagen. Ihre weißen Zähne aus dem schwarzen Gesicht blitzten Abdul nur so an, dass er gar nicht anders konnte, als auch ein fröhliches Gesicht zu machen.
Ja, es war ihm alles noch so fremd und er kam mit vielen Dingen noch nicht zurecht. Er wusch sich schnell und ging zur Mutter zurück, die das Frühstück für ihren Sohn schon fertig hatte. Sie strich ihm schnell noch einmal über die Haare, bevor er das ungewohnte Frühstück aß. Es war eben anders.
Wie so vieles.
Auch für seine Mutter war so vieles noch fremd.
Sie war mit ihrem Abdul und der kleinen Sheila erst vor einem Monat nach Deutschland
gekommen. Dort, in ihrer Heimat Kurdistan, gab es immer wieder Kämpfe und viele Menschen waren die Opfer. Abdul konnte überhaupt nicht verstehen, warum sich Menschen gegenseitig umbringen. Der Vater konnte das Land noch nicht verlassen, er schickte erst einmal die Familie allein. Und nun wohnten Abduls Mutter, seine Schwester Sheila und er in einem Heim.
Im Heim lebten Familien, die aus verschiedenen Ländern kamen. Auch die zwei Jungen aus dem Waschraum kamen von weit her. Mit ihrer schwarzen Haut fielen sie besonders auf. Abdul hatte auch schon weitere Kinder im Heim gesehen. Manche waren schon ein paar Monate hier. Sie konnten sich in der fremden Sprache schon ein wenig verständigen. Außer "Guten Tag“ und "bitte" und "danke" konnte Abdul noch nichts auf deutsch sagen. Und heute, wirklich heute, ging er das erste Mal in eine Schule. Es war noch keine richtige Schule, sondern eine Sprachschule. Er war total aufgeregt und unsicher. Was würde er alles Neues erleben?
Während die kleine Sheila noch im Bett lag und mit ihrer neuen Puppe spielte, half die Mutter die störrischen Haare ihres Sohnes zu bändigen, bevor sie mit Abdul zur Schule ging. Eigentlich wollte Abdul das nicht, denn er war ja kein kleines Kind mehr. Doch nun war er froh, dass die Mutter da war.
Noch gestern hattte er vom Heimleiter eine richtige Schultasche bekommen, mit Heften, Bleistiften und Kugelschreiber. Alles Gute und viel Freude wünschte er Abdul. Richtig stolz war der und fleißig zu lernen versprach er.
Vor der Klassentür verabschiedet sich die Mutter. Nun kam es darauf an. Fröhliches Kindergeplapper kam aus der Klasse, als er die Tür öffnete. Und da waren sie, seine Klassenkameraden, Mädchen und Jungen, mit schwarzer Hautfarbe und mit weißer, mit blonden Haaren und mit schwarzen. Auch die beiden aus dem Waschraum waren da. Schon war Abdul umringt und im Kreis aufgenommen.
Aber heute war alles sowieso anders. Da liefen auch zwei oder drei Leute mit einem Mikrofon und Kopfhörern rum, wurde das Fenster immer wieder auf und zu gemacht. Erst als die Lehrerin kam wurde es ruhig. Sie begrüßte die Kinder, vor allem die, die heute das erste Mal in der Klasse waren. Unter viel Gelächter nannte jeder seinen Namen. Manche Namen konnte man kaum nachsprechen, so ungewohnt waren sie. Aber mit Hilfe von Dolmetschern ging auch das.
Die mit dem Mikro liefen geschäftig in der Klasse herum und hielten den Kindern das schwarze Ding vor den Mund.
Die Aufregung legte sich langsam, als die Lehrerin die Namen von Larissa und Abdul aufrief. Beide mussten nach vorn kommen. Die Lehrerin sagte der Klasse, dass die beiden Geburtstag hätten und 10 Jahre alt würden. Sie gratulierte ganz herzlich. Die ganze Klasse klatschte und rief Glückwünsche. Abdul hatte an seinen Geburtstag vor Aufregung gar nicht gedacht . Nun wusste er auch, warum seine Mutter so geschmunzelt hatte, als sie ihren Sohn in die Schule brachte. Es sollte für ihn eine Überraschung werden. Und die wurde es auch.
Die Männer und Frauen hatten mit den Mikrofonen alles aufgenommen und spielten es den Kindern vor. Was war das für eine Stimmung, als sich einzelne Kinder an der Stimme erkannten.
Dann verriet die Lehrerin noch ein Geheimnis: Die Mikroaufnahme wurde für den Radiosender NB-Radiotreff 88,0 gemacht. Und abends können sich alle die Sendung anhören. Vielleicht erkennen die Eltern ja die Stimmen ihrer Kinder.
Frau Kunzelmann erklärte den Kindern, dass Larissa und Abdul ihren 10. Geburtstag feiern und die Leute mit den Radiomikrofonen seien als „Die Torwächter“ auch gerade10 Jahre alt geworden. Sie sind vielen Kindern längst gute Freunde, wenn sie morgens um sieben und um acht Uhr eine Geschichte für den Tag vorlesen. Abends wird um neunzehn und um zwanzig Uhr eine Gute-Nacht-Geschichte gelesen.
Da war es noch einmal ganz laut in der Klasse, als alle den "Torwächtern" gratulieren wollten. Und wer nicht bis zum Abend warten konnte, um die Radiosendung zu hören, der durfte nach der Schule noch einmal im Klassenraum versuchen, seine eigene Stimme zu finden.
So begann eine Freundschaft zwischen den Kindern, die die deutsche Sprache erlernen wollen und den "Torwächtern".
"Genug geträumt, Abdula", rief die Mutter, "du musst zur Schule."
"Schade, Mutter, dass mein Traum vorbei ist. Aber vielleicht wird er schneller wahr, als ich denke. Deshalb will ich die deutsche Sprache ganz schnell erlernen."

Auf dem begleitenden Bild sehen Sie die Torwächter (v.l.n.r.): Ingrid Schröder, Marsitha Beisheim, Adrian Springborn (Praktikant bei NB-Radiotreff 88,0), Annerose Mößner (Leiterin des Offene Kanals), Karl Wilhelm Wolff, Karin Wolff. Nicht mit auf dem Foto, aber auch bei den Torwächtern aktiv: Siglinde Ehlert, Gerhard und Kristina Kurzke sowie Ursula Reiner

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