Verbreitung von Desinformation: Plattformen entziehen sich ihrer Verantwortung
Online-Plattformen ziehen sich zunehmend aus europäischem Selbstregulierungsinstrument zurück
Die am 22. Januar 2025 veröffentlichten Selbstverpflichtungen der Plattformen im Rahmen des Strengthened Code of Practice on Disinformation bestätigen einen Trend: Immer mehr Plattformen reduzieren ihre Zusagen. Insgesamt unterzeichnen die sehr großen Online-Plattformen und Suchmaschinen (Very Large Online Platforms, VLOPs, und Very Large Online Search Engines, VLOSEs) deutlich weniger sogenannter „Commitments“ als noch 2022. Betroffen sind vor allem die Bereiche Demonetarisierung von Desinformation, politische Werbung und Fact-Checking.
Mit dem Rückzug aus zentralen Verpflichtungen werden VLOPs ihrer Verantwortung nicht gerecht
Besonders gravierend ist der Rückzug der Plattformen aus zentralen Verpflichtungen zur Demonetarisierung von Desinformation und zur Zusammenarbeit mit Faktencheckern. Außerdem versäumen es die Plattformen, sich zur konsequenten Durchsetzung und transparenten Berichterstattung zu politischer Werbung in den sozialen Medien zu bekennen. Statt Verantwortung zu übernehmen, reduzieren einige Unternehmen ihr Engagement unter dem Code in diesen Bereichen erheblich.
„In den kommenden Jahren sollte sich die Europäische Union nicht durch politisch motivierte Kurzschlussreaktionen von CEOs aus dem Konzept bringen lassen. Unsere Regelungen zu Desinformation müssen robust und stabil aufgesetzt sein, um gegenüber denen Bestand zu haben, die nicht bereit sind, Verantwortung zu tragen. Als Medienanstalten stehen wir in der ERGA und bald im Media Board bereit, gemeinsam mit der EU-Kommission, den Digitalkoordinatoren und den weiterhin verantwortungsvollen Plattformen, den Kampf gegen Desinformation entschieden anzugehen und weiter eng zusammenzuarbeiten“, sagt Dr. Tobias Schmid, Europabeauftragter der Medienanstalten.
Commitment zur Bekämpfung technischer Manipulation bleibt weitestgehend bestehen
Bemerkenswert ist, dass Meta – trotz Befürchtungen, die Aussagen von Mark Zuckerberg könnten bereits Auswirkungen auf Europa haben – vorerst an seinen Zusagen im Bereich Fact-Checking in der EU festhält. Begrüßenswert ist zudem, dass die meisten Plattformen, u. a. Google und Meta, die Verpflichtung zum Kampf gegen Formen der technischen Manipulation (Commitment 14) weiterhin unterzeichnen. Die Plattformen verpflichten sich so beispielsweise zur Eindämmung von manipulativen Taktiken wie Bots, gekauften Reichweiten und sogenanntem „Coordinated Inauthentic Behaviour“. In Zeiten, in denen sich Desinformationskampagnen zunehmend professionalisieren, ist dies aus Sicht der Medienanstalten positiv zu werten.
„Der Begriff Strengthened wird diesem Code immer weniger gerecht. Plattformen, die mit der Aufmerksamkeit der Nutzerinnen und Nutzer Geld verdienen, tragen auch die Verantwortung, sie zu schützen. Warum sollten ausgerechnet jene Unternehmen, die von der Aufmerksamkeit aller – insbesondere junger Zielgruppen – profitieren, geringeren Maßstäben unterliegen? Verantwortlichkeitsdiffusion ist kein Geschäftsmodell“, sagt Dr. Eva Flecken, Vorsitzende der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM).
Vom Code of Practice zum Code of Conduct – der nächste Schritt für den freiwilligen Verhaltenskodex
Unter dem Schirm des Digital Services Act (DSA) soll der bisherige Code in einen verbindlicheren „Code of Conduct“ umgewandelt werden, um die Durchsetzung von Maßnahmen gegen Desinformation effektiver zu gestalten. Trotz der von den Plattformen demonstrierten Zurückhaltung begrüßen die Medienanstalten die Umwandlung, da die EU-Kommission dadurch ein Instrument hinzugewinnt, um Maßstäbe in der europäischen Desinformationsbekämpfung zu setzen. Dennoch gilt: Wo die Industrie ihrer Verantwortung nicht mehr nachkommt, sind jetzt die Politik sowie die Exekutivbehörden gefordert. Der Gesetzgeber sollte prüfen, ob strengere Regeln erforderlich sind, da die Plattformen nun einräumen, dass sie Maßnahmen gegen die Verbreitung von Desinformation aus eigener Initiative teilweise nicht mehr ergreifen.
Nähere Informationen zu den konkreten Verpflichtungen der Plattformen finden Sie hier: disinfocode.eu/subscriptions-forms.
Weitere Informationen über die Medienanstalten finden Sie hier.
Quelle: die medienanstalten-Pressemitteilung vom 27.01.2025